Der Gemeinschaftssucher

erzählt von Dieter Halbach

In dem kleinen Kollektiv-Buchladen fiel mir ein Buch in die Hände mit dem schlichten Titel “Eurotopia-Verzeichnis europäischer Gemeinschaften”. Mein Herz schlug sofort höher: Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung für mich, auf ein anderes Leben vor dem sicheren Tod? Der Verkäufer hinter der Ladentheke schaute mich halb mitleidig, halb belustigt durch seine alte Nickelbrille an: “Ein gutes Buch für Gemeinschaftssuchende! Ja, auch ich habe einmal danach gesucht… und als ich es gefunden hatte, habe ich es auch verloren. Aber letztlich habe ich auch etwas wieder gefunden, was ich schon fast verloren hatte.”

 

Nach dieser etwas nebulösen Einleitung fing er an, mir von seiner Reise quer über den Globus von einer Gemeinschaft zur anderen zu erzählen. Offensichtlich war er ein kritischer Zeitgenosse gewesen: Auf der Suche nach der perfekten Gemeinschaft, konnte ihn keine zufriedenstellen. Die politisch richtigen Gemeinschaften, lebten falsch und trugen schwer an ihrer ideologischen Last; die ökonomisch erfolgreichen versackten in Arbeit und Management und wurden normal; die lebendigen Freaks waren ihm zu bekifft und chaotisch; die spirituellen Gemeinschaften klammerten vor lauter Liebe die Sexualität und die sexuell befreiten Kommunen die Liebe aus.

Langsam hatte sich mein Buchhändler in Fahrt geredet, doch plötzlich erschien ein wehmütiges, fast verklärtes Lächeln auf seinem Gesicht: “Aber nach vielen Jahren der Suche habe ich sie doch gefunden: meine Gemeinschaft! Es waren nur wenige Menschen, aber sie hatten alle Bereiche des Lebens integriert.” “Ja aber warum bist Du dann nicht dort geblieben?” fragte ich ihn. “Sie wollten mich nicht. Ich wollte die perfekte Gemeinschaft, aber sie wollten den perfekten Menschen!"

 

Als ich nach einiger Zeit und vielen Fragen mit dem Buch wieder auf die Strasse hinaustrat fühlte ich mich etwas merkwürdig. Eine Mischung von Schmerz und Freude gewürzt mit einer Prise Angst, hatte sich auf mein Herz gelegt. Welches wiederum wild und laut pochte. Nennt man das Sehnsucht?

"Nur sonnige Augen können die Sonne sehen" hatte der Buchhändler mir lachend hinterhergerufen. Und was ist mit Schmetterlingen im Bauch, dachte ich verwundert.

Und auf wackeligen Beinen schritt ich hinaus in das Abenteuer, dass man Leben nennt... und das irgendetwas mit mir und Gemeinschaft zu tun hat.

 

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